Startseite Aktuelles Presseartikel: Interview mit Prof. Zieren zum Thema „Problem Schilddrüse“ in der Rheinischen Post
Nervosität, Schlafprobleme oder Durchfall: Dass dahinter das kleine Organ am Hals stecken kann, denken die meisten nicht. Dabei sind Schilddrüsenkrankheiten häufig und können schon in leichter Ausprägung das Risiko für einen Herztod erhöhen.
Nervosität, Schlafprobleme oder Durchfall: Dass dahinter das kleine Organ am Hals stecken kann, denken die meisten nicht. Dabei sind Schilddrüsenkrankheiten häufig und können schon in leichter Ausprägung das Risiko für einen Herztod erhöhen. Würde man jedem Deutschen einen Ultraschallkopf auf den Hals halten, könnte das bei jedem Dritten eine krankhafte Veränderung seiner Schilddrüse zu Tage befördern. Erkrankungen des kleinen, schmetterlingsförmigen Organs leicht unterhalb des Kehlkopfes sind also ein wahres Volksleiden. Doch nicht jeder weiß davon. Denn Schilddrüsenleiden werden wegen ihrer unspezifischen Symptome und des oft schleichenden Verlaufs häufig spät erkannt.
Dabei können Störungen der Schilddrüsenfunktion relativ einfach an einer Veränderung des sogenannten TSH-Wertes im Blut (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) erkannt werden. Dieser Wert kann auch schon eine latente oder schlafende Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse anzeigen. Dann nämlich ist der TSH-Spiegel schon krankhaft verändert, während die Spiegel der freien Schilddrüsenhormone im Blut noch normal sind.
„Früher war die Auffassung verbreitet, dass man bei einer schlafenden Fehlfunktion noch nichts machen muss“, sagt Professor Hans Udo Zieren vom Deutschen Schilddrüsenzentrum. Inzwischen weiß man, dass auch latente Schilddrüsenfehlfunktionen schädlich sein können. Das zeigt eine aktuelle Untersuchung der Ruhr-Universität Bochum. Die Forscher stellten fest, dass nicht nur schwere Überfunktionen, sondern schon leichte Abweichungen das Risiko für schwere Herz-Kreislauferkrankungen und auch einen plötzlichen Herztod erhöhen können. Für die Bochumer Übersichtsstudie werteten die Forscher aus Nordrhein-Westfalen 32 Studien mit 1,3 Millionen Teilnehmenden aus. Die Untersuchung fand in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern dreier medizinischer Forschungseinrichtungen in Singapur statt.
Bereits im Jahr 2017 fanden Forscher der Capital Medical University in Peking anhand der Auswertung von rund 1,9 Millionen Patientendaten heraus, dass eine Unterfunktion der Schilddrüse auch bei leichtem Verlauf eine Herzerkrankung zur Folge haben kann. Die Unterfunktion kann demnach zur Arterienverkalkung und damit später zu einem Schlaganfall führen. Auch führten die Wissenschaftler andere potentiell tödliche Herzereignisse wie Herzinfarkt oder Vorhofflimmern an.
Warum das so ist, erklärt Zieren so: „Vereinfacht ausgedrückt wirken Schilddrüsenhormone wie ein Gaspedal auf Körper und Geist“. Bei einer Schilddrüsenunterfunktion fahren daher viele Organe „untertourig“. Das gilt insbesondere auch für das Herz-Kreislauf-System. Mögliche Folgen sind z.B. ein verlangsamter Herzschlag oder eine geringere Schlagkraft. Das führt längerfristig betrachtet zu einer Schwächung des Herzmuskels. Menschen mit einer Schilddrüsenunterfunktion haben laut der Pekinger Studie im Vergleich zu solchen mit einer normal funktionierenden Schilddrüse ein fast doppelt so hohes Risiko an einer Herzkrankheit zu sterben. Die Forscher halten Patienten mit leichter Fehlfunktion und einen TSH-Spiegel über 10 mlE/l für kardiologisch gefährdet.
Doch auch im umgekehrten Fall – der Schilddrüsenüberfunktion – ist die Gefahr für Herzzwischenfälle erhöht. Der Grund: Bei der Überfunktion, medizinisch auch Hyperthyreose genannt, schüttet das schmetterlingsförmige Organ zu viele Hormone aus. „Das Herz fährt jetzt Vollgas. Es schlägt schneller, der Blutdruck wird höher, die Erregbarkeit wird gesteigert“, sagt Zieren. Herzschlag und Puls sind schneller, was mehr Energie verbraucht aber auch eine höhere Belastung für das Herz mit sich bringt. Dadurch kann es auf längere Sicht zu Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern und Herzschwäche führen.
Aus diesem Grund sollten sowohl Über- wie auch Unterfunktion medikamentös eingestellt und regelmäßig überwacht werden. „Eine im Mai 2022 publizierte große wissenschaftliche Studie aus den USA zeigt, wie wichtig eine gute hormonelle Einstellung ist“, sagt Zieren. Anlass für die Untersuchung war die Tatsache, dass zwar das künstliche Schilddrüsenhormon Levothyroxin in Amerika eines der drei am häufigsten verschriebenen Medikamente war, Herzerkrankungen jedoch die häufigste Todesursache blieben. Die Wissenschaftler wollten darum wissen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Behandlung mit Schilddrüsenhormonen und herzbedingten Todesfällen gab. Dafür werteten sie die Daten von mehr als 705.000 US-Veteranen zwischen 2004 und 2017 aus, die an einer Über- oder Unterfunktion litten und die eine Schilddrüsenhormon-Therapie bekamen.
Dabei zeigte sich: Je schlechter die Patienten medikamentös eingestellt waren und je größer die Abweichung von den Normalwerten mit einem TSH-Wert von 0,5-5,5 mlU/l war, desto mehr stieg das Risiko für Herz-Kreislauf-bedingte Todesfälle. „Diese Ergebnisse sind ein Argument dafür, dass die Hormontherapie medikamentös so angepasst werden sollten, dass sie sich die Schilddrüsenwerte im Blut im Normalbereich befinden“, sagt Zieren. Dies sei der beste Schutz.
Quelle: Rheinische Post vom 3.1.2023
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